02.07.2020

Beatrice Fehr, Pflegefachfrau, 56 Jahre

Beatrice Fehr ist im Vorstand der HGW und arbeitet als Pflegefachfrau in einem Alterszentrum. Wie blickt sie, die in einem «systemrelevanten» Beruf arbeitet, auf die Corona-Zeit zurück?

Frau Fehr, Sie waren und sind mit dem Thema Corona beruflich stark konfrontiert. Hatten Sie selbst jemals Angst vor einer Ansteckung?
Nein, eigentlich hat mich das nicht so beschäftigt. Ich war im März noch in Graubünden in den Ferien und kehrte früher zurück, weil alles geschlossen wurde. Da habe ich mir schon Gedanken gemacht, was mich im Arbeitsalltag erwarten würde: Wie es wohl laufen würde, was für Massnahmen und Änderungen mich erwarten – und ob alles gut geht. Das hat mich viel mehr beschäftigt.

Hygiene spielt in Ihrem Beruf sowieso eine grosse Rolle. Worin lag der Unterschied während der Pandemie?
Es waren zunächst einmal zusätzliche Massnahmen – die musste man zuerst kennenlernen und man musste sich daran gewöhnen sowie die Bewohnenden daran heranführen. Das dauert seine Zeit und ist aufwendig, vor allem bei Menschen mit dementieller Entwicklung. Oft musste man auch erst mal Verständnis für die Massnahmen schaffen. So zum Beispiel das Abstandhalten, das ist bei uns nicht so einfach umsetzbar. Das ständige Maskentragen entpuppte sich ebenfalls als Herausforderung: Viele ältere Leute sehen und hören nicht mehr so gut. Mit der Maske geht die Kommunikation über die Mimik auch noch verloren. Das kann zu Missverständnissen führen und so haben wir angefangen zu sagen, wenn wir zum Beispiel lächeln. Um die Situation etwas aufzulockern, haben wir auch manchmal gescherzt und beispielsweise gefragt, ob die Lippenstiftfarbe gefällt – obwohl man sie ja gar nicht sieht.

Man las in den Medien über das erschöpfte Gesundheitspersonal, die Bevölkerung hat Klatschkonzerte gegeben. Wie haben Sie das wahrgenommen?
Die Zeit war sicher sehr anstrengend: Das Einhalten und Durchsetzen der Massnahmen sowie eine gewisse Anspannung, ob alles gut geht, haben Energie gebraucht. Der Austausch unter dem Personal kam etwas zu kurz, da wir alle wirklich viel beschäftigt waren und ja auch Abstand halten mussten. Ich fand die Klatschkonzerte eine sehr schöne Geste. Allerdings befürchte ich, dass bald alles wieder vergessen sein wird. Das gilt nicht nur für die Gesundheitsberufe, sondern für alle systemrelevanten Berufe – vom Polizisten bis zu den Kassiererinnen.

Wie ist die Situation mit den Lockerungen für Sie jetzt? 
Schon viel entspannter, auch wenn noch nicht ganz so wie vor der Krise. Man muss zum Beispiel für mögliche Rückverfolgungen erfassen, wer das Gebäude betritt und verlässt. Aber es freut mich, dass wieder Leben ins Alterszentrum kommt!

Was denken Sie über die Lockerungen?
Ich bin froh, dass ich so etwas nicht entscheiden muss. Aber ich denke, irgendwann muss man mit dem Leben wieder anfangen – lieber eher vorsichtig, denn weg ist das Virus ja nicht. 

Haben die Bewohnenden mit der Zeit den Lagerkoller bekommen?
Sie freuen sich immer über Abwechslung. Ein besonderes Highlight war das Balkonsingen. Die Bewohnenden haben auf dem Balkon oder am Fenster mit dem Pflegeteam teilgenommen, die übrige Belegschaft hat sich im Garten verteilt. Alle haben ein Liederbüchlein mit gängigen Liedern erhalten und gemeinsam gesungen. Besonders spannend fanden es die Bewohnenden, wer da alles zu sehen war – und für diejenigen, die nicht so gut sehen, haben wir berichtet, wer wo steht.

Gibt es etwas, das für Sie persönlich positiv war an dieser Zeit?
Mir ist aufgefallen, wie sehr ich mich über Kleinigkeiten gefreut habe. Da ich viel gearbeitet habe, kam einiges zu kurz. So verpasste ich es, rechtzeitig Hefe einkaufen zu gehen – ich backe mein Brot oft selbst. Ich musste dann enttäuscht und etwas irritiert feststellen, dass alles leer gekauft war. Am nächsten Tag legte mir eine Nachbarin Hefe in den Briefkasten, das war ein Riesenaufsteller. Oder ich hatte einmal einen Geschenkkorb bestellt, da ein Bekannter mit dem Vertrieb davon begonnen hatte und ich das unterstützen wollte. Es war ein anstrengender Tag und ich sass erschöpft in der Garderobe, als die SMS kam, dass der Korb vor meiner Tür bereitliege. Auch das hat mich dann umso mehr gefreut.

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